Chopins Tod
Letztes familiäres Glück
Die Familie Jedrezejewicz errichte Paris am 9 August und richtete sich bei
Chopin in Chaillot ein, der jetzt endlich wieder etwas häusliches
Familienglück genießen konnte. Kalasanty kehrte zwei oder drei Wochen später
schon wieder nach Warschau zurück, während Ludwika sich entschlossen hatte,
bei ihrem Bruder zu bleiben, ihm zu pflegen und sich um den Haushalt zu
kümmern.
Im August kam auch Solange und wohnte mit ihrem Mann ganz in der Nähe von
Chaillot. George Sand schrieb Ludwika einen Brief, sobald sie von ihrer Ankunft
erfahren hatte. Sie hatte ihr früher mehrfach versichert, dass sie Chopin liebe
wie ihr eigenes Kind und dass sie ihn nie im Stich lassen werde, und in der Tat
schilderte sie jetzt die Situation so, dass ihr eine sehr vorteilhafte Rolle
zukam:
"Soeben erfahre ich, dass Sie in Paris sind; das wusste ich nicht. So
hoffe ich, endlich durch Sie zu hören, wie es Frédéric wirklich geht. Die
einen schreiben mir, dass er viel kränker als gewöhnlich sei, die anderen,
dass er nur schwach und leidend sei, so wie ich ihn seit jeher kenne. Schreiben
Sie mir doch ein Wort, darum wage ich Sie Sie zu bitten, denn mag wohl von
seinen Kindern verkannt und im Stich gelassen worden sein, hört aber deshalb
nicht auf, sie zu lieben. Und wie geht es Ihnen? Sie dürfen mir glauben, dass,
seit ich Sie kenne, kein Tag vergangen ist, ohne dass ich mich nicht sehr gerne
an Sie erinnert hätte. Auch dürfen Sie meiner im Herzen gedacht haben, denn
ich glaube, das was ich erlitten habe, nicht verdient zu haben."
Also hatte George Sand Chopin noch immer nicht verziehen, dass dieser ihre
Bedingungen nicht akzeptiert hatte und weiterhin den Kontakt zu ihrer Tochter
und ihrem Schwiegersohn pflegte. Ludwika ließ den Brie unbeantwortet und
verzichtete darauf, die Bekanntschaft mit einer so rachsüchtigen Person
aufrechtzuhalten.
Die Ankunft seiner Schwester ließ Fryderyk wieder aufleben, doch diese
Besserung seines Zustandes war leider nur von einer kurzen Dauer. Er plante
sogar, auf eine Einladung von Delfina Potocka hin mit Ludwika den Winter in
Nizza zu verbringen. Dr. Cruveilhier, der über den Krankheitsverlauf sehr
beunruhigt war, beriet sich am 31. August mit seinen Kollegen Louis und Blache,
und gemeinsam untersagten sie dem Kranken jedwede Reise, und sei es auch in ein
Land mit milderen Klima. Sie rieten ihm aber, in eine wärmere Wohnung mit
Fenstern auf der Südseite umzuziehen. Nach kurzer Suche war eine ideale,
allerdings auch teure Wohnung gefunden, und zwar am Place Vendóme 12 in einem
der besseren Viretl von Paris. Die Wohnung befand sich in der ersten Etage, und
es handelte sich um dasselbe Haus, in dem Thomas Albrecht sein Büro gemietet
hatte.
Es war Chopins erste Wohnung im Zentrum der Stadt, zwischen den großen
Boulevards und der Seine. Er freute sich, dass er nicht mehr zum Square
d'Orléans zurückkehren musste und so die belastenden Erringrungen hinter sich
lassen konnte. Eifrig plante er die Einrichtung der neuen Wohnung, suchte
Tapeten und Gardinen aus und überlegte sich, wo er kleinere Gegenstände
aufstellen würde. Scheinbar ahnten alle anderen mehr als er, wie wenig Zeit ihm
noch zu leben blieb. Als Nordwid ihn einmal im September in Chaillot besuchte,
erlitt Chopin einen Hustenanfall, und während er noch hustete, stieß er
hervor, dass er fortgehe. Sofort erhob sich gewaltiger Protest, und der Gast
versicherte, dass es von einer solchen Krankheit bis zum Tode noch ein weiter
Weg sei. Als Chopin endlich wieder sprechen konnte, fuhr er ruhig fort: "Ich
sage Dir, dass ich zum Place Vendóme gehe."
Der Umzug fand Ende September statt. Chopin war so schwach, dass er seine
neue Wohnung nicht mehr verlassen konnte. Von Spaziergängen oder Spazierfahrten
mit der Kutsche konnte keine Rede sein. In der Wohnung umherzugehen war die
größte Anstrengung, die er sich zumuten konnte, doch auch das fiel ihm immer
schwerer. Schließlich erkannte auch er, was für alle anderen längst kein
Geheimnis mehr war.
Am 7 Oktober verkündete er ruhig, dass er die beginnende Agonie fühlte,
dass ihn das aber nicht erschrecke; er freute sich sogar, sich dessen so klar
bewusst zu sein. Fünf Tage später atmete der Kranke nur noch mit Mühe und
litt offensichtlich große Qualen, so dass der herbeigerufene Dr. Cruveilhier
vermutete, dass der Tod schon innerhalb der nächsten Stunden eintreten könnte.
Man schickte also nach Pater Jelowicki. Chopin wollte ihn zunächst gar nicht
empfangen, begrüßte ihn dann aber doch freundlich nahm seine Hand und bat ihn
zu schweigen. Seine Schwester und die anwesenden Freunde konnte ihn schließlich
überreden, zu beichten und in aller Unterwürfigkeit und im Einklang mit der
katholischen Religion das Abendmahl und die letzte Ölung zu empfangen. Es ist
kaum auszumachen, ob es ihm ein wirkliches Bedürfnis war oder ob er im Gedanken
an seine Mutter oder aus Freundschaft für Jelowicki gehandelt hatte.
Delfina Potocka hatte die Nachricht von Chopins Zustand erhalten und kam
daraufhin am 15 Oktober aus Nizza nach Paris. der Kranke freute sich sehr, sie
zu sehen, und wünschte, dass sie für ihn singe. Man schob das Klavier bis zur
Schlafzimmertür, und Delfina Potocka sang zu eigenerer Begleitung einige Werke
italienischer Komponisten, vor allem von Bellini, Stradella und Marcello. Die
Musik bereitet Chopin unermessliche Freude, und er bat um mehr. Auch Franchomme
hatte sein Cello mitgebracht und begann, gemeinsam mit Marcelina Czartoryska die
Sonate g-moll von Chopin zu spielen, aber sie mussten unterbrechen, weil
der kranke einen starken Hustenanfall bekam und anschließend zu erschöpft war.
Am Abend und in der Nacht war Chopin zeitweise nicht bei Bewusstsein und
erkannte auch die Anwesenden nicht mehr. Am nächsten Tag war er wieder
ansprechbar und konnte sogar seine letzen Wünsche äußern: So bat er darum,
alle seine unvollendeten Werke und noch nicht ins Reine geschriebenen
Manuskripte zu verbrennen. Die Skizzen seiner
Klavierschule sollte Alkan erhalten. Für den Tag
seiner Beerdigung wünschte er sich, dass Mozarts Requiem gespielt würde
und dass nach seinem Tod sein Leib geöffnet und sein Herz herausgenommen und
nach Polen gebracht würde.
Die letzte Stunden
In den letzten Tagen gingen viele Leute in Chopins Wohnung ein und aus. Alle
Freunde und Bekannten kamen, um den sterbenden Künstler noch einmal zu
besuchen. Die meisten blieben im Salon; ans Bett kamen nur die, die ihm am
nächsten standen. Zu dem letzteren gehörte der Maler Teofil Kwiatkowski, mit
dem Chopin seit einigen Jahren gut befreundet war. Der Maler war fast ständig
im Haus und fertigte drei Gemälde an, die Chopin, seine Schwestern und
die anwesenden Freunde - Marcelina Czartoryska, Grzymala Jelowicki und ihn
selbst - darstellen. In der letzten Nacht, vom 16, auf den 17. Oktober, wachten
vermutlich fünf Personen bei ihm: Ludwika, Marcelina, Solange, Gutmann und
Albrecht. Gegen zwei Uhr hatten sie den Eindruck, dass Chopin nach Wasser
verlangte. Als Solange ihm das Wasser brachte, merkte sie, dass er nicht mehr
lebte.
Quellenangaben
(Textauszug aus "Chopin, Sein Leben, sein Werk, seine Zeit", Tadeusz A. Zielinski, ISBN 3-7857-0953-6)
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