Chopin Biographie, Werke, Bilder, Portraits, Zitate
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Ein Kind von außergewöhnlichem Talent 

Musik erklang bei den Chopins oft, wenn sie auch dilettantisch ausgeübt wurde. Als sie in die Hauptstadt zogen, ließen die Eheleute ein eigenes Klavier kommen, und Justyna (Chopins Mutter) setze sich, wie schon in Zelazowa Wola (Geburtshaus), auch hier gerne an das Instrument, um populäre Tänze, Lieder oder leichte klassische Stücke zu spielen. Mikolaj (sein Vater) stand ihr nicht selten mit der Geige oder der Flöte zur Seite, die übrigens bald zerbrach, als der kleine Fryderyk sie in die Finger bekam.

Die Eltern beschlossen gemeinsam, ihre Kinder in der Musik zu unterrichten. Die ersten Lektionen erhielt die älteste, Ludwika, bei ihrer Mutter, die die Händchen auf den Klaviertasten platzierte. Anschließend musste man sich notwendigerweise mit dem um drei Jahre jüngeren "Frycek" befassen. Das Kind verriet eine außergewöhnliche emotionale Sensibilität für Klänge und Musik. Seine erste sichtbare Reaktion auf das Spiel der Mutter war wiederholtes Weinen, und mit zunehmendem Alter wuchs auch seine Neugier. Wenn er Klavierspiel hörte, setzte sich der Junge mit Vorliebe unter das Instrument oder betrachtete die über die Klaviatur eilenden Finger. Und wenn man ihm an die Tastatur heranließ, konnte man ihm nur schwer wieder davon losreißen. Es gab etwas an dem kindlichen Geklimper, das die Mutter zum frühen Beginn der elementaren Musikerzeihung des kleinen Jungen bewog, leidenschaftlich unterstützt von der kleinen Ludwika, die ihren jüngeren Bruder verehrte.

Diese Versuche zeigten schon bald erstaunliche Resultate. Der kleine Fryderyk überflügelte, noch bevor er sechs Jahre alt war, nicht nur seine ältere Schwester an Fingerfertigkeit und suchte mit Leichtigkeit alle gehörten Melodien auf den Tasten zusammen, sondern improvisierte auch und erfand neue Melodien ähnlich denen, die man ihm vorgab. Auch die Kunst, Melodien mit einfachen Akkorden zu harmonisieren, beherrschte er blitzschnell.

Die Eltern, beeindruckt von den besonderen Begabungen ihres Kindes, beschlossen, seine weitere Ausbildung einem Berufsmusiker anzuvertrauen. Sie wählten Wojciech Zywny, einen sechzig-jährigen, von Bekannten empfohlenen Musiklehrer, der in den Häusern seiner Schüler Privatunterricht erteilte. Der 1756 - im gleichen Jahr wie Mozart - in Böhmen geborene Zywny war in Leipzig ausgebildet worden, angeblich bei einem Schüler Johann Sebastian Bachs. In jungen Jahren siedelte er nach Polen über und nahm die Stelle eines Geigers in der Privatkapelle der Fürsten Sapieha an. nach den Teilungen Polens ließ er sich in Warschau nieder und verdiente seinen Unterhalt durch Klavier- und Clavichordunterricht - also jener Instrumente, die insbesondere zu Beginn des 19 Jahrhunderts in wohlhabenden Warschauer Häuser in Mode waren. Zywny, eine etwas kauzige Erscheinung und recht unbeholfen in den Dingen dieser Welt, war oft altmodisch gekleidet, sprach ein seltsam klingendes Polnisch und konsumierte unaufhörlich Tabak. Doch wurde er in der Gesellschaft wegen seiner unverwüstlichen Gesprächigkeit und seines Witzes geschätzt. Bald war er auch willkommener Gast im Hause Chopin, und das nicht nur in seiner Eigenschaft als Lehrer Fryderyks und seiner Schwester. Wie seine Kleidung und Manieren, waren auch seine Vorlieben und sein musikalischer Geschmack unzeitgemäß: Er verehrte vor allem die deutsche Musik des 18 Jahrhunderts, besonders Bach, was bemerkenswert ist, da dieser Komponist zu Beginn des 19 Jahrhunderts noch nicht in seiner vollen Bedeutung geschätzt und allgemein bekannt war, sowie Haydn und Mozart. Zu neueren musikalischen Strömungen, die über das klassische Muster hinausgingen, hielt er eine misstrauische Distanz, und die zeitgenössische italienische Opernmusik, die damals in Warschau en vogue war, fand  er schlicht unerträglich, den "klassischen" Rossini eingeschlossen.

Die Unterrichtsstunden mit dem kleinen Fryderyk begannen 1816, also kurz vor dem Umzug der Chopins in die neue Wohnung. Auch nach einem knappen Jahr überraschte der Siebenjährige seinen Lehrer Lehrer immer wieder durch sein ungewöhnliches, über jegliche Erwartungen hinauswachsendes Talent. Es grenzte an ein Wunder, das mit einem anderen, schon etwas zurückliegenden zu vergleichen war: Wenn Chopins Eltern ihren Sohn spielen hörten, dürften sie ähnliche Empfindungen gehabt haben wie einige Jahrzehnte zuvor die Eltern des kleines Mozart. Problemlos überwand der Junge technische Schwierigkeiten, und mit Leichtigkeit wuchs er über die ihm gestellten Aufgaben hinaus. Zudem komponierte er, und zwar nicht schlechter als die bekannten erwachsenen Komponisten, deren Werke ihm als Muster dienten. Es schien sogar, dass sie den kleinen Komponisten schöner und ansprechender gelangen.

Allerdings waren die Muster, die ihm zur Verfügung standen, nicht eben von hohem Rang. Dei ersten Stücke des siebenjährigen Fryck verrieten den offensichtlichen Wunsch, die von der Mutter gespielten Polonaisen von Michal Kleofas Oginski (1765-1833) so wie dessen spätere Nachfolger nachzuahmen. Die Popularität stilisierter Polonaisen, vor allem für ein Tasteninstrument, war zu jener Zeit in Polen groß genug, um die Vorstellungskraft des talentierten Kindes anzuregen und in ihm den Wunsch zu wecken, eigene ähnliche Kompositionen zusammenzustellen. Der Rhythmus dieses polnischen Tanzes fand offensichtlich den Gefallen des kleines Chopin; für dessen spezifischen Reiz sollte er übrigens bis ans Ende seines Lebens empfänglich bleiben, wobei diese Faszination mit der Zeit eine tiefere Bedeutung erlangte. Jedenfalls stützen sich seine ersten kindlichen Improvisationen gerade auf diesen Rhythmus, und auch seine frühesten notierten Kompositionen haben die Gestalt einer Polonaise.

Quellenangaben

(Textauszug aus "Chopin, Sein Leben, sein Werk, seine Zeit", Tadeusz A. Zielinski, ISBN 3-7857-0953-6)

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