Einen völlig anderen Charakter trägt das in den ersten Monaten des Jahres 1829 vollendete Trio für Klavier, Violine und Violoncello g-moll (op. 8), das dem Fürsten Antoni Radziwill gewidmet ist. In seinem Stil ebenso wie im Klangbild des Klavierparts ähnelt es kaum den anderen Werken Chopins aus jeder Zeit. Hier zügelte er seine Neigung zu reichen ornamentalen Figuren und zu virtuosem Glanz, auch bemühte er sich nicht, pianistische Effekte der Kammermusik Hummels weiterzuentwickeln (obgleich der Beginn des Trios ein wenig an den Beginn von Hummels Septett erinnert). Chopin, der sich so plötzlich vom style brillant distanziert, scheint im Klaviertrio einen besonderen Gefallen an Komplexität, Ökonomie und Präzision bei der Formulierung musikalischer Gedanken zu finden. Das impliziert jedoch keineswegs stilistischen Rückschritt – im Gegenteil! Die Expressivität des Werks, weit entfernt von konventioneller Formelhaftigkeit, gehört bereits eindeutig zur Sphäre jener neuen romantischen Sensibilität, die auf ähnliche Weise einige Jahre zuvor Weber und Schubert erschlossen und die dabei im Grunde bescheidenen stilistischen Innovationen des Virtuosen Hummel hinter sich gelassen hatten. Chopin jedoch geht seinen eigenen Weg, der manchmal sogar noch kühner ist, und hat dabei seine eigene Vision von einer neuzeitlichen, romantischen Kammermusik. Im Grunde genommen gehört er zu den ersten romantischen Komponisten dieser Gattung, denn die wichtigsten kammermusikalischen Werke Schuberts (darunter dessen Klaviertrios) sowie die letzten Werke Beethovens entstanden nur unwesentlich früher und waren noch keineswegs allgemein bekannt.
In seinem formalen Aufbau hat das Klaviertrio viele Gemeinsamkeiten mit der Sonate c-moll, überragt sie aber ganz entschieden hinsichtlich der künstlerischen Gestaltung und der Lebhaftigkeit des Ausdrucks. Das Thema des ersten Satzes, Allegro con fuoco, ist in seinen Phrasen voller dramatischer Erregung dem Ausdruck einiger Schubert-Lieder verwandt.
Nach dem impulsiven Beginn in Form einer achttaktigen Periode verebbt
die Dynamik in einer sanglichen Melodie, die den Hauptteil des Themas
bildet. Immer höhere Sprünge vom wiederholten Ton g aus
(Quarte, Quinte, Sexte) erwecken den Eindruck von Ungeduld und Hartnäckigkeit.
Dem entgegnet eine sinkende Phrase, die vor allem im weiteren Verlauf
eine Stimmung von Melancholie und Trauer mit sich bringt. Bemerkenswert
ist die Einheitlichkeit und motivische Ökonomie des gesamten
Themas: die steigenden Sekundschritte des Basses in den einleitenden
Akkorden (Beispiel 25) werden nun von der Melodie in den oberen
Tönen der genannten Sprünge (c, d, es) aufgegriffen und
anschließend durch eine leiterartige Phrase abwärts ausgeglichen.
Diese Melodie, exponiert in den sich gegenseitig imitierenden Streichern,
entfaltet sich nach einer Weile in all ihrer Pracht im Klavier,
wo sie weit ausschwingt und ihre ganze Sehnsucht und Melancholie
offenbart. Gleichzeitig jedoch verleiht ihr die von Anfang an unaufhörlich
durchlaufende Sechzehntelbegleitung eine Schattierung von Energie
und Leidenschaft.
Ähnlich wie in der Sonate c-moll nahm Chopin sich vor, das
ganze Allegro auf ein einziges Thema zu stützen und in der
Exposition dieselbe Tonart beizubehalten. Eine Monotonie der Sonate
umging er vor allem dadurch, dass er das Thema in zwei im Ausdruck
verschiedenartige Abschnitte gliederte. Der ganze weitere Verlauf
der Exposition, lebhaft und differenziert, verbleibt in enger Beziehung
zum Material der beiden Abschnitte. Nach der suggestiven Entwicklung
der sinkenden leiterartigen Phrase (Takte 29-42) dringt plötzlich
an der Stelle, wo man eigentlich das zweite Thema erwartet hätte,
in der Violine eine energische Sechzehntelbewegung nach vorn, die
an Bachsche Figuren gemahnt. Sie enthält Reminiszenzen an die
von der wiederholten Note ausgehenden charakteristischen Sprünge
im Thema, doch diesmal nicht auf-, sonder abwärtsführend.
Diese Phrase, vom Violoncello aufgegriffen, erhält ein deutliches
Echo des Themenhauptabschnitts in der Violine.
Die tonale Eineitlichkeit der Exposition gleicht Chopin durch Vielgestaltigkeit der Modulationen in der Durchführung aus.
(Textauszug aus "Chopin, Sein Leben, sein Werk, seine Zeit", Tadeusz A. Zielinski, ISBN 3-7857-0953-6)