Chopins Mazurkas - Referat

Inhalt:

1. Wesen und Ursprung der Mazurka
2. Chopin und die Mazurka
2.1. Historischer Bezugsrahmen
2.2. Chopins Stil
3. Werkbetrachtung

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.

Op.06
Op.07
Op.17
Op.24
Op.30
Op.33
Op.41
Op.50
Op.56
Op.59
Op.63/67/68

4. Schlussbetrachtung
5. Quellenverzeichnis
6. Literaturverzeichnis

1. Wesen und Ursprung der Mazurka

Die Mazurka ist ein slawischer Gesellschaftstanz im ¾ Takt mit Ursprung in Polen, genauer gesagt, aus der Provinz Masowien, wo auch Chopin selbst aufwuchs. Er ging aus dem Powislak und Swiatowska (Rundtanz) und vor allem Mazur, Kujawiak und Oberek hervor und breitete sich Ende des 18. Jahrhundert über die gesamte slawische Welt in Form eines Begegnungs- und Trennungstanzes aus. Nach einem festgelegten Schrittschema wechseln Paare wiederholt ihre Partner um sich danach wiederzufinden. Ein solcher Tanz kann, vorausgesetzt die Stimmung ist ausgelassen und die Tänzer gut aufeinander abgestimmt, eine Stunde und länger dauern. Franz Liszt schrieb folgendes über die Mazurka und deren gesellschaftliche Wurzeln:
Einzig und allein in Polen kann man den stolzen und dabei doch zarten und verführerischen Charakter der Mazurka genießen. Und wenn man verstehen will, wie vollkommen Chopins Kompositionen den verschiedensten Stimmungen angepasst sind, die er in allen zauberischen Regenbogenfarben darzustellen verstand, dann muss man diesen Tanz in seinem Ursprungsland erlebt haben.

An anderer Stelle schreibt Liszt weiter:
Der Kavalier bemächtigt sich seiner Dame wie eine Eroberung, auf die er stolz ist und gibt sich alle Mühe, ihre Reize vor allen anderen Bewunderern ins rechte Licht zu setzen, bevor er sie zu einer glühend-verzückten Umarmung herumwirbelt, durch seine Zartheit seine kühne Siegermiene hindurchglüht...Es gibt wohl kaum etwas reizvolleres, als eine Ballszene in Polen. Wenn die Mazurka einmal begonnen hat, wird die Aufmerksamkeit nicht von einer tanzenden Menge abgelenkt, die sich ohne Grazie oder Ordnung durcheinander schiebt und stößt, sondern man wird durch ein einziges Paar ebenmäßiger Schönheit gleich Zwillingssternen fasziniert, die in den freien, unermesslichen Raum hinfortschnellen. Der Kavalier akzentuiert wie unter stolzer Herausforderung seine Schritte, verlässt seine Partnerin für einen Augenblick, als betrachte er sie mit einem erneuten Entzücken, kehrt dann mit leidenschaftlichem Eifer zu ihr zurück und dreht sich geschwind um sich selbst, als sei er plötzlich von Freude überwältigt und überlasse sich seinem köstlichen Verzückungstaumel. 1

Ein anderer Zuschauer, Dr. E. W. Schollenberg, beschreibt das bunte Treiben einer Mazurka-Aufführung mit folgenden, weniger emotionalen als eher sachlichen Worten:
Sie beginnt mit einer Prozession wie bei einer Polonaise, doch in schnellerem Tempo, wobei die Tänzer gleitende Bewegungen vollführen und dazu mit den Füßen stampfen. Im zweiten Abschnitt gliedert sich der Tanz zu Paaren, die eine Stunde oder länger zusammen tanzen, bis sich gegen Ende die Prozession wieder zusammenfindet. Die Solotänze sind von besonderer Bedeutung, denn hier sind die Tänzer ganz in ihrem Mètier, und hier finden die zahllosen kleinen Dramen statt, an denen sich Chopin so sehr delektierte. 2

2. Chopin und die Mazurka

2.1. Historischer Bezugsrahmen

Chopin verließ sein Heimatland 1830, um im Ausland (vorerst Wien, danach London und Paris) sein Glück als Pianist und Komponist zu suchen. Er war bereits in Polen ein gefeierter Mann und als Komponist erstaunlich reif (die meisten seiner Etüden, einige Mazurkas und Polonaisen und vor allem seine beiden Klavierkonzerte entstanden in Polen, noch vor seinem 20. Lebensjahr!). Er wusste jedoch, dass die wirklich großen Musiker nicht in Warschau, sondern in Paris, der Hochburg für Künstler aus aller Welt im 19. Jahrhundert, zu finden sind. Die wahre Größe eines Pianisten maß man damals am Erfolg in dieser Metropole. Alles andere war wertlos.
Während er in Wien weilte, brach in Polen ein Aufstand gegen die russische Fremdherrschaft aus. Dieser wurde jedoch blutig zerschlagen und den Menschen ging es danach schlechter als zuvor. Diese Tatsache war ein schlimmer Rückschlag für den sensiblen Komponisten. Aufgrund seiner schwachen körperlichen Verfassung, verursacht durch seine chronische Lungenkrankheit, war es ihm unmöglich gewesen, zusammen mit seinen Landsleuten gegen die russische Besatzung zu kämpfen. Er ließ sich nach einigen Zwischenstationen in Paris nieder und er sollte sein Heimatland Polen nie wieder sehen. Wir können uns vorstellen, wie schmerzlich sein Heimweh gewesen sein muss. Er suchte sein Seelenheil in den 51 veröffentlichten Mazurken, welche er, im Gegensatz zu anderen Genres, sein Leben lang schrieb. Sein Heimatgefühl und sein Nationalstolz drückte er in diesen Stücken aus, als persönliches Geschenk an die Heimat, sozusagen. Natürlich gab es Stilisierungen von Volkstänzen wie Sand am Meer zu Beginn des 19. Jhd., jedoch war Chopin der einzige bedeutende Komponist, der sich damit bis Mitte des Jahrhunderts beschäftigte und dessen Tänze noch heute von bleibenden Wert sind.

2.2. Chopins Stil

Chopin machte unmissverständlich klar, dass seine Mazurken keine Tanzstücke waren. Sie beinhalten neben folkloristischen Merkmalen auch lyrische Elemente oder wie Schumann3 einst sagte: irgendeinen poetischen Zug, etwas Neues in der Form oder Ausdruck, welche ein konzentriertes Zuhören verlangen. Bei reinen Tanzstücken wird ein stark ausgeprägtes, rhythmisches Grundgerüst vorausgesetzt, welches den Tänzer in Bewegung versetzt. Chopins Art, Klavier zu spielen, widerspricht jedoch einer metronomgenauen Wiedergabe (typisches Rubato-Spiel mit eher langsam gespielten Verzierungen usw.), so dass es, sofern man die Mazurkas authentisch im Geiste Chopins vorträgt, nur schlecht möglich wäre, danach zu tanzen. Viele Mazurkas entfalten sowieso erst ihren Wert nach mehrmaligen Hören. Chopin verschmilzt typische Elemente der polnischen Bauernmusik, wie er sie als Kind allzu oft gehört hatte, mit neuartigen, westeuropäischen, harmonischen Wendungen. Für einige seiner Zeitgenossen klangen seine kühnen harmonischen Lösungen eher fremd, schroff, unnatürlich, gewaltsam (wenn man selbst versuchte, sie zu spielen). Wenn Chopin jedoch seine Stücke vortrug, dann klangen sie plötzlich unglaublich lebendig, transparent und originell. Es ist für jeden (angehenden) Pianisten eine große Herausforderung, Werke Chopins ,,richtig" zu spielen. Die meisten seiner Werke, ganz besonders die Mazurken, erwachen erst durch den zarten und ,,singenden" Anschlag, so wie ihn Chopin meisterhaft beherrschte, zum Leben.
Von den Noten her sind die meisten seiner Mazurkas nicht allzu schwer, doch verlangt die richtige Interpretation an hohes Maß an spielerischer Fertigkeit verbunden mit naiver Frische und reifer pianistischer Meisterschaft.4 Seine Mazurken (wie auch seine anderen Werke) klingen auch weder typisch polnisch noch typisch französisch (was auch dazu geführt haben könnte, dass Franzosen, Polen sogar Deutsche Chopin für sich beanspruchten). Chopin verkörperte einen bis dahin ungekannten Klavierstil, der sich relativ unbeeinflusst von anderen musikalischen Strömungen entwickelte. Er ist deshalb im Kontext der Musikgeschichte relativ einzigartig.

2. Werkbetrachtung

Die Ausgangsform für die Mazurkas bildet bei Chopin der klassische, periodische Aufbau. Er modifiziert, erweitert und formt um, doch bleibt diese Struktur immer erkennbar. Auch bildet das Prinzip der Reprise den Rahmen seiner Kompositionen. Es erscheint ein erster Teil mit einem oder mehreren Themen, danach folgt ein Zwischenteil und am Ende wird der erste Teil wiederholt, meist in abgewandelter Form. Es ist also eine typische ABA Form erkennbar, was die volkstümliche Grundlage seiner Kompositionen bestätigt.
Weiterhin fällt auf, dass Chopin den zweiten oder dritten Schlag bevorzugt (entspricht genau den Fußstapfen im Tanz). Diese ungewöhnliche Betonung für einen Dreiertakt zeigt auch die stilistische Abgrenzung zu seinen Walzern, die bekanntlich auch im ¾ Takt stehen. Hier wird immer der erste Schlag betont, die zwei folgenden Schläge sind unbetont zu spielen. Chopin spitze bei seinen Darbietungen die taktauflösende Wirkung seiner Schwerpunktverschiebungen derart zu, dass bei manchem Hörer der zugrunde liegende Dreiertakt verloren ging.5 Nicht auszudenken, wenn man danach tanzen müsste. Die eingefügten Akzente verleihen der Musik eine urwüchsige Kraft und große, dynamische Ausstrahlung. Genau das richtige für die Pariser Salons in dieser Zeit.
Ich werde im folgenden die Mazurken, in Opus-Gruppen unterteilt, nach ihren musikalischen und ästhetischen Eigenschaften und ggf. historischen Zusammenhang darstellen bzw. nach meinem persönlichen Geschmack zusammenstellen und bewerten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Ich verzichte ganz gezielt auf übertrieben kleinliche Analysen einzelner Werke (Takte oder gar Noten zählen usw.), da die Schönheit und die Bedeutung eines Werkes meines Erachtens nicht durch Zerpflücken in seine kleinsten Bestandteile bestätigt oder widerlegt werden kann. Außerdem gibt es für solche Analysen ein gesondertes Seminar gleichen Namens. Ich empfehle außerdem, beim Durchlesen dieser Arbeit die CD zu hören und die Noten-Gesamtausgabe zur Hand zu nehmen, da diese Arbeit aus Platzgründen nur Text enthält, jedoch keine Noten- oder Audiobeispiele. Ich weise jedoch darauf hin, welche Takte oder Abschnitte für mich bemerkenswert sind.

I. Opus 06

Diese erste Sammlung von 4 Mazurken entstand zwischen 1830-32. Schon hier zeigt sich die hohe Kunst Chopins im Stilisieren von Tänzen.
No.1 ist ein sehr lebhaftes Stück, welches bis heute zu den beliebtesten Mazurken Chopins zählt. Der Bass auf der ersten Zählzeit ist meistens tief ,,im Keller" und einstimmig, die zwei nachfolgenden Viertel sind zwei- oder dreistimmige Akkorde im mittleren Bereich, also nach bester Tanzmanier, dem Walzer oder Mazur nicht ganz unähnlich. Der Mittelteil ist im Gegensatz zu den Außenteilen laut, am Taktanfang steht sogar ein ff Akkord mit Akzent (meist auf nur einem Ton, vierfach unisono), der etwas trotziges, aufmüpfiges an sich hat und zeigt, dass Chopin jede Menge Energie besitzt, trotz seiner angegriffenen körperlichen Verfassung.
No.2 ist eher etwas langsamer und behutsamer zu spielen. Am Anfang setzt er eine Einleitung, als wolle er nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Man könnte glauben, man ist im Orient: in der linken Hand leiernde Quinten (Bordunbässe) im Schema Viertelnote + Halbe auf Gis und Dis, also der Dominante der Grundtonart cis-Moll. Die säuselnde, sitarähnliche Melodie liegt in der Mittelstimme, während Gis in der Oberstimme liegt (zwei Oktaven über dem Gis im Bass) und die innere Stimme einbettet, indem sie genau das gleiche tut wie der Bass. Nach einem Moll-Teil folgt ein raffiniertes Zwischenstück: Er umfunktioniert die Dominante von cis-Moll, also den Gis-Dur-Dreiklang kurzzeitig zur Tonika. Somit entsteht eine Dur-ähnliche Stimmung ohne aber das Gefühl zu haben, sich in einer anderen Harmonie zu befinden. Diese schnellen Wechsel von Dur und Moll klingen heute raffiniert und erfrischend, keinesfalls ungewöhnlich; damals aber waren diese Harmonien doch ziemlich gewöhnungsbedürftig und nicht wenige fanden solche Akkordzusammensetzungen krotesk, gekünstelt und abstoßend. Chopin war eben seiner Zeit wohl meilenweit voraus. Im Takt 32, dem Mittelteil also, wechselt er zu einem Thema, das in E-Dur, also der Paralleltonart von cis-Moll steht. Es wird im Anschluss zwei Ganztöne, als eine große Terz höher wiederholt. Kompositorische Finesse vom feinsten. Dieses Thema erinnert mich stark an eine Passage von Udo Jürgens Song: Ich war noch niemals in New York, wobei ich bei der Etüde op.10 no.3 immer an Peter Maffays: Du denken muss. Chopin hat damals schon geahnt, welche Melodien heute ,,in" sind.
Stück No.3 fängt ähnlich an wie No.2, jedoch schnörkelloser, transparenter und direkter. Im Takt 9 beginnt das originelle Thema regelrecht emporzusteigen, voller Stolz und Energie. Das gesamte Stück ist sehr ausgelassen und steht, entgegen der Mehrzahl der Mazurken in Dur. Die Begleitung besteht größtenteils aus homogenen Quint- oder Akkordwiederholungen und hat weniger Dorffestcharakter als andere seiner Stücke dieses Genres. Im Mittelteil, (die Mittelteile sind generell Chopins Paradestücke in seinen Mazurken, was Originalität und Abwechslung anbelangt) , der im Kontrast zu den Außenteilen in Moll steht, bringt er am Themaanfang jeweils am Ende des Taktes eine Viertel- Pause, die sehr wirkungsvoll ist: man kann sich in die folgenden Takte ,,hineinfallen" lassen. Diese Passage macht mir beim Hören wie auch beim Spielen (ich spiele selbst einige Mazurken Chopins) besonderen Spaß.
Ferner kann man hier Klangfarben traditioneller Musikinstrumente, vor allem die des Dudelsacks erahnen (siehe die Bordun-Quinten in der Einleitung). Im Originalmanuskript (verschollen) der Mazurka op.7 no.2 soll die Originalhandschrift Chopins das Wort ,,duda" (polnisch für: Dudelsackpfeifer) zwischen den Notenlinien des ersten Taktes enthalten haben.6
No.4 ist sehr kurz und ist eher ein introvertiertes Stück mit dieser typisch slawischen Mischung aus Melancholie, Trauer und heimlichen Groll. Nicht so mein Fall.

II. Opus 07

Diese 5 Stücke sind 1832, im gleichen Jahr wie op.6 erschienen. Sie wurden zwischen 1830 und 1832 komponiert.
Das erste Stück, No.1 ist ebenso wie das erste Stück des op.6 das bekannteste. Entweder der Verleger hat aus verkaufsfördernden Gründen das eingängigste und potentiell populärste Stück an den Anfang gesetzt, um somit die gesamte Ausgabe aufzuwerten (der erste Eindruck ist immer sehr entscheidend) oder man hat aus Bequemlichkeitsgründen immer nur das erste Stück gespielt und deshalb ist es gezwungenermaßen zum Hit avanciert. Die Melodie erinnert stark an den Leierkastenmann (tiefer Bass danach zwei Akkorde, eine Oktave höher). Könnte auch mit einem Walzer verwechselt werden. Das gesamte Stück ist ziemlich übersichtlich und durchaus für den Nicht-Profi-Pianisten spielbar. Ein echter Gassenhauer nach bester Kirmes-Manier. Es fehlen jegliche Akzente gegen den Strich, die Begleitung ist vom Blatt spielbar, kaum Triolen, kaum Sechszehntelnoten, kaum rhythmische Variationen, kaum Schnickschnack. Ein recht derbes, einfach gehaltenes Stück. Auch Chopin war sich nicht zu fein, solche Tänze zu schreiben. Er hat sich hier sehr zurückgehalten zugunsten einer authentischen, volkstümlichen Harmonik. Das auffälligste an diesem Stück ist wohl in Takt 6 (wird noch einige Male wiederholt) Chopins Wahl des E statt des erwarteten F (notfalls auch Es) bei B-Dur-Begleitung in der linken Hand. Es wirkt irgendwie schief und klingt wie verspielt. Typischer Honky-Tonk-Effekt eben.
No.2 ist ein Stück, was ich erst nach mehrmaligen Hinhören bemerkenswert gefunden habe aber dann richtig. Es ist so ziemlich das Gegenteil des vorangegangenen Stückes, eher leise und träumerisch. Auffällig auch die Begleitung: es fehlt die erste Bassnote. Nur auf den Schlägen 2 und 3 kommt ein wiederholter Akkord. Das nimmt meines Erachtens völlig den Tanzcharakter und klingt typisch salonartig, typisch französisch. Dieses Stück könnte heute ohne Probleme in feinen Restaurants während des 5-Gänge- Gourmet-Menüs gespielt werden, ohne das es die Anwesenden beim Essen stört. Im hinteren Teil dieser Mazurka wechselt der Bass sogar einstimmig in wellenartiger Bewegung auf und ab (Grundton, Quinte, Oktave), hier ist der Bass keineswegs mehr verantwortlich für Grundharmonie und Rhythmus (wie in Tänzen üblich) sondern überlässt die Geschicke der rechten Hand. Ein außergewöhnliches Stück.
No.3 fällt durch seine recht eigenwillige Einleitung auf: ziemlich mystisch und düster (hervorgerufen durch den Tritonus zwischen F und H, nur im Bass gespielt). Noch bevor es richtig losgeht ein smorzando. Glänzendes Horrorfilm-Intro. Danach geht es typisch slawisch zur Sache: Melancholie und Weltschmerz. Nur im Mittelteil erhebt sich das Gemüt. F bis ff, stark rhythmisiert, hymnenartig, marschmäßig. Klingt eher nach Polonaise als nach Mazurka.
Das Presto no.4 ist in As-Dur und klingt ziemlich urwüchsig und verwendet die typischen, kurzatmigen Harmoniewechsel (Kadenz), wir man sie schon aus dem Mittelalter her kennt: Tonika-Subdominante-Tonika-Dominante-Tonika. Auffällig ist auch der in starkem Kontrast zu den Außenteilen stehende, sehr kurze Mittelteil, der eher einer Erholungspause gleicht (4 Takte, molto rallentando, pp, smorzando, fermate). Er steht in A-Dur (vorherige Passage war nach Des-Dur moduliert, also Umdeutung der Subdominante von As-Dur zur Tonika Des-Dur) Somit entsteht eine Rückung um 1 Halbtonschritt aufwärts gegenüber der Grundtonart As-Dur: äußert kühne harmonische Konstruktionen. Klingt aber für heutige Ohren keineswegs gekünstelt sondern eher kurzweilig und schwungvoll.
No.5 ist das letzte Stück, der Rausschmeißer sozusagen. Ist wie im Opus 6 sehr kurz gehalten. Klingt aber im Gegensatz dazu sehr lustig und unbeschwert. Das Stück beginnt wieder mit einer Einleitung, diesmal keine Quinten, sondern zwölf identische Oktaven in der linken Hand auf G (Dominante der Grundtonart C), die rechte Hand schweigt. Besonderheiten: sehr einfache Harmonien, keine klavieristischen Schwierigkeiten, eine durchgehende Lautstärke, Mittelteil fehlt ganz, als Coda dient die Einleitung. Quirliges Stück!

III. Opus 17

Diese 4 Mazurken wurden 1834 veröffentlicht und in den Jahren 1831-33 geschrieben, also ist op.17 die erste Sammlung, die vollständig außerhalb Polens, nämlich in Paris geschrieben worden. Sie ist mit einer Widmung an die Sängerin Lina Freppa versehen worden, die oft in Chopins Salon weilte.
Stück No.1 zeigt schon an, dass hier ein anderer Ton angeschlagen wird. Gefällige Melodie, wenig Geschnörkel, sehr unpolnisch. Er hätte dieses Stück auch als Walzer veröffentlichen können, keiner hätte es gemerkt. Die Terz- und Sextreihen in der Melodie sucht man in seinen früheren Mazurken vergeblich. Im Mittelteil ab Takt 41 bringt er eine recht clevere Basslösung: in zwei Taktgruppen gegliederte Abschnitte der Art ram-tam-ram-<tam-tam>-ram-tam, wobei die in Spitzklammern gesetzten Silben Achtelnoten sind und die unterste Note (ram) immer die Note Es ist. Somit bekommt dieser Teil eine orgelpunktartige Grundlage. Alles in allem ein sehr galantes Stück, weniger slawisch angehaucht.
No.2 hat vom Gesamteindruck eine frappierende Ähnlichkeit mit op.7 no.2, nur noch einen Hauch französischer. Hier offenbart sich die typischste Salonmusik, wie ich mir sie vorstelle: klare, eingängige, moderne Melodie, fast schon wie seine Nocturnes. Der Dreiertakt wird durch zurückhaltende, akzentlose Bassbegleitung nahezu aufgelöst. Den Mittelteil, der mit Takt 24 beginnt, variiert er von Takt 43-52 meisterhaft durch chromatische Verfärbungen, bei ausgehaltenen Noten in der Oberstimme. Solche kompositorischen Lösungen sind neu für sein Genre der Mazurka.
No.3 ist ein sehr sanftes, leises und filigranes Werk, nicht einfach zu spielen. Auffällig ist die Umwandlung von As-Dur nach Gis-Dur (enharmonische Verwechslung) ab Takt 42 um in gleitend in E-Dur zu landen. Diese harmonische Wendung hatte schon Schubert mit Vorliebe angewandt. Die formalen, triolischen Aufgänge ab Takt 58 zeigen, dass Chopin extrem stilisiert, folkloristische Elemente sind hier stark zurückgedrängt zugunsten eines individuellen Stils.
No.4, das letzte Stück dieser Sammlung ist ein recht langes Stück (Chopin pflegte eigentlich, mit kurzen Stücken aufzuhören. Vielleicht will er aber einen Stilwandel ankündigen und deshalb alles anders machen). Das soll eine Mazurka sein? Glaube ich nicht. Es ist vielmehr eine Nocturne im ¾ Takt. Erstens ist diese Stück mit Lento , ma non troppo ausgezeichnet. Es fängt pianissimo an und es folgen Bezeichnungen wie espressivo und delicatissimo verbunden mit einer 15 Noten langen belcanto Passage in Takt 15, analog zu Takt 31 und 55. Weiterhin erinnern mich die zarten, abwärtsführenden Bassakkorde (besonders am Anfang) stark an sein Präludium no.4 in e-Moll. Ab Takt 61 bis 92 erklingt der Mittelteil, welcher in A-Dur steht (gleicher Grundton, jedoch Dur statt Moll): Meisterhafte Harmonien mit Tonika-Quartvorhalten, die in die Quinte (E-Dur) enden (break mit Akzent). In der linken Hand Bordunbässe A+E gefolgt von A+E+H und wieder zurück. Wunderschön. Das einzige, was auf eine Mazurka hinweist, ist der Zwischenteil von Takt 37-44: typische chromatische Zigeunermelodie. Wenn man diese 8 Takte weglassen würde, klänge dieses Stück wie eine Nocturne oder vielleicht wie eines von Chopins Präludien.

IV. Opus 24

Dieser Zyklus wurde von 1833-36 geschrieben, aber erst 1846 veröffentlicht. Vielleicht hat Chopin erst 10 Jahre später diese Werke für veröffentlichungswürdig gehalten.
Hier findet er wieder zum Folkloristischen zurück, was gleich das erste Stück No.1 beweist: ausgeprägter Tanzrhythmus, melancholische, mollgeprägte Melodie.
No.2 (C-Dur), welches ich selbst spiele, ist schon etwas besonderes. Schon die viertaktige Einleitung lässt spannendes erahnen: wechselnde Quintbässe auf C und G, danach spritzige Melodie in a-Moll und d-Moll. Es folgt ab Takt 13 eine mittelalterliche Kadenz, kurz und prägnant, 3 mal wiederholt. Im zweiten Teil (Takt 37) folgt ein lydisches Thema, denn F-Dur wird zur Tonika umgewandelt, jedoch das H nicht zum B erniedrigt. Der lydische Modus ist in Polens Folklore der meist verwendete. Im Mittelteil (Takt 57) transponiert Chopin zur nächsthöheren Tonart, also Des-Dur. Wer sich schon gefreut hat, ein leichtes Stück in C-Dur zu spielen, wird jetzt eines besseren belehrt: deftige leierkastenähnliche Harmonien dominieren hier, aber eben in der nicht einfachen Tonart Des-Dur. Am Ende fällt noch auf, dass sich der Schluss auf 16 Takte! ausdehnt: mittelalterliche Wechselquinten, pianissimo gespielt (ähnlich der Einleitung), ziehen den Schluss in die Länge, klingt aber richtig gut.
Mazurka No.3 fängt mit einer sehr eingängigen Melodie an (habe ich die nicht irgendwo in einem Volkslied schon mal gehört?), ansonsten alles sehr übersichtlich angeordnet. Auffällig, dass am Themaende immer eine nach oben ragende Abschlussnote mit Fermate steht (Takt 6 oder 10). Im Mittelteil (Takt 25 bis 35) wird der Dreiertakt durch überhängende Bassakkorde völlig aufgelöst, so wie er es vorher noch nicht getan hat. Chopin hat immer was neues, überraschendes in seinen Mazurkas eingebaut, ihm scheinen die Ideen nie auszugehen.
Bei No.4, seiner letzten Mazurka dieses Zyklus, schießt er wahrlich den Vogel ab. War das letzte Stück op.17 das längste, ist jetzt das Schlussstück op.24 Spitzenreiter. Schon die ziemlich gewagte Einleitung lässt schlimmes vermuten: in Halbtonschritten ( sowohl die Unter- als auch die Oberstimme) nähert er sich der Tonika, bis es endlich richtig zur Sache geht. Stilisierung auf höchstem Niveau. Als besonderen Leckerbissen bringt er im zweiten Teil (von einem Mittelteil kann man bei der Länge nicht mehr sprechen, es handelt sich vielmehr um folgendes Schema: X A B A <B A> C D A A) doppelt punktierte Achtel zusammen mit einer 1/32 Note, was von einem Pianisten höchste Konzentration verlangt. Auffällig ist auch seine Unisono-Passage ab Takt 54. Alles in allem sehr anspruchsvoll. Hier zeigt Chopin seine ganzes Können.

V. Opus 30

Dieser Zyklus ist 1836-37 komponiert und 1838 veröffentlicht worden.
No.1 ist für meine Begriffe nichts besonderes. Langweilige slawische 0815- Melodie, Standard-Begleitung.
Mazurka No.2 geht schon besser. Einfache Melodie, die von f-p Kontrasten lebt. Auffällig sind auch die crescendi über mehrere Takte ausgedehnt (z.B. ab Takt 19). Im Mittelteil zelebriert er meisterhaft Dur-Moll-Wechsel auf engstem Raum. Das gibt der Harmonie das gewisse Etwas.
Nächstes Stück No.3 ist ein sehr deftiges Stück. Terz- und Sextreihen in der rechten Hand: typische Folklore. Abrupte Wechsel von pp und ff sind hier neu und so noch nicht in seinen früheren Mazurken vorhanden.
No.4, das letzte Werk Chopins von Opus 30, ist wie in den zwei vorangegangenen Zyklen das längste und auch anspruchvollste Stück. Nach einer gewöhnungsbedürftigen Einleitung geht es ziemlich zur Sache: arpeggierte Begleitakkorde, weil sie zu umfangreich sind, um sie als ganzes zu spielen, viele Punktierungen, Triolen, Schleifer, Triller über 2 Takte (z.B. T.39), Akzente. Und wieder diese kleinen Terzen in der Melodie, was der slawischen Melancholie Ausdruck verleiht. Chopins Heimweh muss schon groß gewesen sein.

VI. Opus 33

No.1 ist klein aber fein. Es lebt von kurzen melodischen und harmonischen Einfällen, die im Anschluss nahezu identisch ohne große Schnörkel wiederholt werden. Klingt sehr erfrischend und ursprünglich. Der Mittelteil enthält wie so oft geistreiche Wendungen, die erst nach mehrmaligem Hinhören zu voller Blüte gelangen. Ein sehr übersichtliches, unangestrengtes Stück.
No.2 knüpft nahtlos an das vorhergehende Konzept an: klar gegliederte Themenabschnitte, die fast identisch wiederholt werden. Einfache Sequentierungen mit anschließender Wiederholung sind ebenfalls vorhanden. Hier zeigt Chopin, dass er auch anders kann: weg vom verschleierten, komplizierten bis teilweise gekünstelten Stil hin zum einfachen, transparenten. Hier scheint er ganz spontan aus dem Bauch geschrieben zu haben. Die gute Laune merkt man ihm deutlich an. Diese Mazurka wird übrigens auch als Gesangsversion vorgetragen, denn die galante Melodie bietet sich hervorragend dafür an.
Ebenso Stück No.3: gutgelaunte, eingängige Melodien ohne übertriebene Künstelei. Sehr schön. Durch Überbindungen der Bassharmonien wird der Dreiertakt oft verwischt. G. Meyerbeer schlug seinerzeit vor, dieses Stück müsse eigentlich im 2/4 Takt stehen. Chopin verwarf diesen Vorschlag und so kam es zum Zerwürfnis beider Komponisten.
Das Stück No.4 ist, wie sollte es anders sein, das mit Abstand längste und anspruchsvollste Werk. In Moll geschrieben huldigt es die slawische Mentalität, klingt aber richtig gut. Ein sehr filigranes Stück, bei dem man an jeder Note Chopins außergewöhnliches Talent erkennt. Auffällig ist die ständige Wiederkehr des wohlklingenden Eingangthemas. Seine Solopartien für die linke Hand klingen bemerkenswert. In diesem Stück wimmelt es nur so von guten Ideen, es macht richtig Spaß, jede einzelne Note zu verfolgen. Alles in allem ein sehr gelungener Zyklus.

VII. Opus 41

Dieser Zyklus ist 1838-39 komponiert und 1840 veröffentlicht worden.
Stück No.1 ist länger als die bisherigen Anfangsstücke und sehr anspruchsvoll. An manchen Stellen etwas holprig, warten auf einen viele chromatische Verfärbungen, die eine eindeutige Dur oder Moll-Unterscheidung erschweren. Überhaupt setzt Chopin wieder auf das Konzept des Nebeneinanders beider (klassischer) Tongeschlechter, ohne das eine dem anderen vorzuziehen. Ungewöhnlich ist das Fehlen jeglicher Wiederholungen, was im krassen Gegensatz zum vorhergehenden Zyklus steht.
Op. 41 vereint zudem die harmonischen Veränderungen von Opus 30 mit den hervorstechenden folkloristischen Elementen seiner frühen Mazurken. Alle vier Stücke enthalten Bordun-Orgelpunkte, während in zwei Mazurkas mit alternierenden modalen und diatonischen Themen-Aufstellung experimentiert wird (ähnlich Opus 30). Neu ist jedoch die Einführung des phrygischen Modus. In No.1 erfolgt die Annäherung an eine e-Moll Tonika noch diatonisch dann phrygisch - genau umgekehrt zu No.4: phrygischem Material in cis-Moll folgt diatonisches in der Paralleltonart (E-Dur). Ähnlich dem ersten Stück aus Opus 30, verändert ein späterer Eintritt des phrygischen Materials in der letzten Mazurka das Tongeschlecht, um zwischen der zweiten und dritten Tonstufe eine übermäßige Sekunde zu schaffen. In diesem Zyklus werden Elemente verwendet, die auch schon den früheren Mazurken Farbe verliehen, wie z.B. tonale Verschiebungen in No.2 bis hin zum unerwarteten Abbruch des sich aufbauenden Themas.7

VIII. Opus 50

Der diesmal nur dreiteilige Zyklus wurde komponiert 1841-42 und 1842 veröffentlicht.
No.1 in G-Dur ist ein stark von folkloristischer Tanzstruktur geprägtes Stück, vergleichbar mit seinen früheren Mazurkas, z.B. op.6 no.3. Hier legt Chopin Wert auf authentischen Charakter und nimmt sich, was kühne, unerwartete Stilisierung anbelangt, stark zurück.
No.2 könnte eine Fortsetzung von Mazurka no.1 sein. Sehr tänzerisch und unbeschwert. Ein Gute-Laune-Tanz.
Letztes Stück No.3 ist wieder einmal das anspruchsvollste. Es ist eine Art Rhapsodie, deren satztechnische Kompliziertheit und Ausdrucksintensität kaum an folkloristische Elemente gebunden ist. Das Einleitungsthema wird als Imitationsmotiv vorgestellt, dessen sparsame lineare Struktur den Hörer über die Sphäre des Tanzes hinaushebt. Das Hauptthema ist von lydischem Material durchdrungen, welches anfänglich auf eine erweiterte, für den Tanz typische dreiteilige Anlage hinausläuft. Jedoch dort, wo man einen Abschluss der dreiteiligen Bogenstruktur erwartet, öffnet sich unmerklich die Form: das Material von A wird in einem erweiterten, leidenschaftlichen Durchführungsteil eingearbeitet. Durch Modal- und Sequenztechnik erzeugt Chopin harmonisch eine Intensität, deren chromatische Stimmführung innerhalb eines enharmonischen Kontinuums auf bemerkenswerte Weise Wagner vorwegnimmt.8

IX. Opus 56

1843 wurde dieser dreiteilige Zyklus komponiert und im darauffolgenden Jahr veröffentlicht.
Stück No.1 zeichnet sich durch fallende Sequenzen in Sekundschritten aus, wobei die führende Stimme im Bass zu liegen scheint. Durch vertrackte Überbindungen im Bass wird der Dreiertakt verwischt und es entsteht ein seltsamer Mix aus Unbeschwertheit und mystischer Stimmung. Weiterhin fällt auf, dass sich am Anfang viertaktige Phrasen in der rechten Hand mit sechstaktigen in der linken überschneiden. Der Mittelteil ist durch fließende Bewegungen in der rechten Hand gekennzeichnet (durchgängige, aufsteigende und abfallende Achtel).
Nächste Mazurka No.2 fällt durch die mittelalterlichen und heute noch in der folkloristischen Musik verwendeten Bordun-Bässe auf. Ein sehr rustikales Stück ohne große Schnörkel.
Ganz anders das letzte Werk No.3: einzigartig ist hier Chopins ungebrochene Fähigkeit, neues, jedoch miteinander verwandtes Material zu erfinden. Weiterhin glänzt dieses Stück durch ungewöhnliche Phrasierungen im b-Moll-Zwischenspiel in Takt 89-112 (4+3/2+3/2+3/4+4/4+3) wie auch durch die komplizierte Polyphonie der erweiterten Coda.9

X. Opus 59

Diese drei Mazurken erschienen 1845 also 13 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung dieses Genres. Chopin hat sich vom jungen, agilen Künstler zum reifen, nachdenklichen, von schwerer Krankheit betroffenen Komponisten gewandelt, der sein baldiges Ende kommen sieht. Man merkt diese innere Haltung den letzten Mazurken deutlich an: die aus den früheren Mazurken bekannte rhythmische und dynamische Energie ist zurückgegangen zugunsten einer subtileren, poetischeren Schreibweise.
No.2 zum Beispiel enthält einen versteckten Kontrapunkt mit eine der kompliziertesten, gleitenden, chromatischen Harmoniefolgen und Stück No.3 glänzt durch eloquente, harmonisch äußerst subtiler Coda.10

XI. Opus 63/67/68

Opus 63 ist der letzte, zu Lebzeiten Chopins veröffentlichte Zyklus. Die beiden letzten Zyklen wurden erst nach seinem Tod veröffentlicht und enthalten Mazurken aus seiner früheren Zeit. Hier zeigt sich noch die weniger anspruchsvolle als vielmehr tänzerische, direkte, energiegeladene Schreibweise.
Opus 68 No.2 in a-Moll ist ein Jugendwerk Chopins, bereits 1826 oder 1827 entstanden, etwa zur selben Zeit wie die Nocturne in e-Moll op.72 no.1. Septakkorde der lydischen Dominante und der äolischen Doppeldominante (B-2) werden hier zwar stilvoll eingesetzt, jedoch treten slawische Temperamentsausbrüche stärker in den Vordergrund als bei seinen anderen Frühwerken. Elektrisierende Rhythmik kommt in den dreißig pirouettenhaft wirbelnden Trillern , deren akzentuierter Schlusston immer den ersten Ton eines neuen Taktes bildet, besonders intensiv zum Ausdruck.11
Mazurka Opus 68 No.4 ist laut Fontana das letzte Werk des Komponisten. Es ist nur als Skizze erhalten geblieben und ist später von Franchomme, Hedley und Ekier rekonstruiert worden. Die darin verwendeten Stilmittel sind uns sehr vertraut: Ausgewogenheit des diatonischen und chromatischen Materials in der ersten Phrase, fließendes, walzerartiges Zwischenspiel, chromatische Symmetrien in Takte 32-39. Doch der elegische Ton dieser letzen Mazurka wirkt besonders schmerzlich und bildet einen würdigen Abschluss des Genres, dem sich Chopin sein Leben lang widmete.12

4. Schlussbetrachtung

Chopin hat uns mit seinen Mazurken ein beeindruckendes Vermächtnis hinterlassen. Dieses Genre erzählt uns wie kein anderes das Leben Chopins von seinen Jugendjahren in Polen bis zu seinem Tod in Frankreich. Man kann beim näheren Betrachten jeder einzelnen Mazurka den momentanen Gemützustand Chopins und den derzeitigen künstlerischen Anspruch erkennen. Meist wechseln sich die Zyklen, was den Gesamteindruck anbelangt, ab. Es ist ein roter Faden erkennbar, aber nur innerhalb eines Zyklus. Einmal ist das Hauptgewicht auf folkloristische Elemente, auf klar herausgestellten Tanzrhythmus mit volkstümlicher Melodie gelegt oder er schenkt subtileren lyrischen, poetischen Elementen größere Beachtung. Vom deftigen Tanzstück mit einfacher dreiteiliger Anlage und klarer, transparenter Themenaufstellung bis hin zur komplizierten, kontrapunktischen, komplexen Komposition ist alles vorhanden.
Da die Mazurka eine Mischform anderer Tanzformen darstellt, kann man in seinen Mazurken oft die eine oder andere verstärkte Hinwendung zu einem Tanz bemerken: z.B. in Opus 68 no.3 F-Dur, op.30 no.3 in Des-Dur oder op.7 no.1 in B-Dur kann man die typische Form des Mazur erkennen, welcher sich durch starke Rhythmisierung und scharfe, trotzige Artikulation auszeichnet. Den Kuwajak, welcher ein langsamer Tanz mit fließender, nostalgischer, melancholischer Melodie und schaukelndem, zögerndem Rhythmus ist, kann man besonders gut in den Mazurkas op.17 no.4 oder NE 65, beide in a-Moll, erkennen. In den Stücken op.32 no.2 in D-Dur oder im Trio der F-Dur Mazurka NE 25 lässt sich der Einfluss des Oberek, einem beschwingten, lebhaften Tanz, der oft den Eindruck eines Zitats aus der Volksmusik hinterlässt, nachweisen. Im Laufe der Zeit bildet Chopin seinen eigenen Stil, wobei er die spezifischen Eigenschaften der Tänze frei nutzt. Er entzieht deren Muster den ursprünglichen Kontext, indem er extrem sublimiert und synthetisiert. Seinen eigenen, voll ausgeprägten Stil erreicht Chopin in den Mazurkas ab Opus 41.13
Eine kurze, treffende, wunderbar formulierte Beschreibung dessen, was Chopins Mazurken ausmacht, soll meine Arbeit beenden:
Die Analyse der Mazurken Chopins offenbart, insbesondere in volkstümlicher Hinsicht, eine große Menge aufschlussreicher Momente. Darüber hinaus ist der Zauber dieser Musik bei aller Schlichtheit der Form derart, dass der Hörer jedes Mal nachdenklich wird und erstaunt ist, soviel Schönheit bisher nicht wahrgenommen zu haben. Es geschieht auch umgekehrt: dass der Hörer der Mazurken sie nur gefühlsmäßig erlebt und in ihnen wie der einfache Mensch nur das Schöne, ohne bewusste Analyse, empfindet. Wollte man die Tiefe des Erlebten, das uns an den Mazurken Chopins ergreift, zu beschreiben suchen, so scheint uns der gesamte Reichtum unserer Empfindungen dafür nicht auszureichen.14

5. Quellenverzeichnis

1 CD Cover

2 ebda

3 R. Schumann (1838) aus: Tomaszewski, 1999

4 vgl. Tomaszewski, 1999, S.126

5 Eigeldinger (1979) aus: Reclams Musikführer: Chopin, 1991

6 vgl. Wolff, 1998, S. 222

7 vgl. Reclams Musikführer,1991, S. 162-163

8 ebda S.163

9 ebda S.165

10 ebda S.165

11 vgl. Lange, 1994, S. 225

12 vgl. Reclams Musikführer,1991, S. 165-166

13 vgl. Tomaszewski, 1999, S.126

14 B. Assafjew in: Chopin-Almanach, 1949, S. 109-110

6. Literaturverzeichnis

Chopins Mazurkas, Noten-Gesamtausgabe. Editor Paderewski, 1991
Audio CD: The Chopin Collection: The Mazurkas/ A. Rubinstein. RCA, dist. by BMG
Tomaszewski, M.: Frederic Chopin und seine Zeit. Laaber-Verlag, 1999
Reclams Musikführer: Chopin. Philip Reclam, Stuttgart, 1991
Lange, H.: So spiele und lehre ich Chopin. Steiner Verlag, Stuttgart, 1994
Wolff, K.: Meister der Klaviermusik. Atlantis Musikbuch-Verlag, Zürich und Mainz, 1998
Chopin-Komitee Deutschland (Hrg.): Chopin-Almanach. Akademische - Verlagsgesellschaft Athenaion, Potsdam, 1949

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