Ein hoch angesehener Lehrer
Ende 1831 begann sich Frédérics finanzielle Situation wieder zu
stabilisieren. Was ihm die Klavierstunden einbrachten, die er jetzt nicht mehr
nur in polnischen Häusern gab, genügte zum Leben. Die Gräfin Delfina Potocka,
mit der ihn ein zunehmend freundschaftliches und vertrautes Verhältnis verband,
Fürst Adam Czartoryski und auch Liszt öffneten Chopin den Weg in die Kreise
der Pariser Aristokratie, wo man ihm gerne die pianistische Ausbildung der Damen
anvertraute. Zu seinen Schülerinnen gehörten unter anderem die Töchter des
Comte de Flahaut - Diplomat und Mitglied der Chambre des Pairs und berühmter
Liebhaber Delfina Potockas, weiterhin die Contesse Thérèse Apponyi - Ehefrau
des österreichischen Botschafters, die Comtesse Emilie de Perthuis - Ehefrau
vom Adjutanten des Königs Louis Philippe, die Töchter des Duc Paul de Noailles,
Nathaniel Stockhausen. Er unterrichtete jedoch nicht nur in Adelskreisen. Eine
seiner ersten Schülerinnen war Caroline Hartmann, die hochbegabte Tochter einen
Fabrikanten, die früher bei Liszt und Pixis Unterricht genommen hatte. Sie
starb jedoch im Jahre 1834.
Chopins großer Erfolg als Pädagoge - er erhielt laufend neue
Anfragen aus den Kreisen der gesellschaftlichen Oberschicht - ist
nicht nur mit seinem plötzlichen Ruhm als außergewöhnlicher Pianist zu
erklären, sondern hängt auch mit seiner Persönlichkeit zusammen.
Frédéric, der seit frühester Jugend in Salons der Aristokratie
verkehrte, beherrschte ihre Manieren und den guten Ton in vortrefflicher Weise.
In diesen Kreisen fühlte er sich in seinem Element, benahm sich gewandt und
ungezwungen, und die ihm eigene Anmut und sein Humor verschafften ihm die
Sympathie der hochmütigsten und im gesellschaftlichen Umgang anspruchsvollsten
Personen. Ein solcher Klavierlehrer war selten und von unschätzbarem Wert,
daher sparten die Adeligen nicht an seiner Bezahlung. Irgend jemand hatte ihm zu
Beginn - es könnte de Flahaut gewesen sein - zwanzig Francs pro Stunde
vorgeschlagen, einen Betrag, den Chopin nie zu fordern gewagt hätte;
anschließend sprach sich herum, dass dies der Preis für den Unterricht bei dem
jungen Meister sei. Dem Betrag entsprechend stieg das Ansehen Chopins, und natürlich
konnte er von dem unfreiwillig festgelegten Preis in diesen Kreisen nicht mehr
abweichen. Man behandelte ihn mit Hochachtung, und er war nun nicht mehr nur der
Lehrer, sondern auch der gute Bekannte und gerngesehene Gast. Man lud ihn zum
Essen und zu größeren Empfängen ein; Väter und Ehemänner seiner
Schülerinnen bewunderten ihn, ganz zu schweigen von der Sympathie und
Dankbarkeit, die diese selbst ihm entgegenbrachten.
Chopin spielte oft in diesen Salons, und er tat es gern, wie er den kleinen
Rahmen schon immer öffentlichen Konzerten vorgezogen hatte. Bald schon war er
bei der Pariser Elite bekannt und beliebt, und das nicht nur in den Familien, wo
er unterrichtete. Er war zu Gast bei Lord Rothsay Staurt, dem englischen
Botschafter, und bei Thomas Albrecht, dem Sekretär der Botschaft von Sachsen
und Inhaber eines Weingeschäftes. Die Freundschaft mit Albrecht war gar so eng,
dass dessen Tochter sein Patenkind wurde. Oft verkehrte er auch bei dem Bankier
August Léon, der regelmäßig Schriftsteller, darunter auch Heinrich Heine, um
sich scharte, ebenso bei Comtesse Marie d'Agoult, der Freundin und Geliebten
Liszts, wo sich sämtliche Berühmtheiten der Pariser Musikwelt trafen.
Über seine neue Beziehung schrieb er im Januar 1833 an Dominik Dziewanowski:
"...ich bin nach allen Seiten arg in Anspruch genommen. Ich bin
in der besten Gesellschaft eingeführt, sitze zwischen Botschaftern, Fürsten,
Ministern, und ich weiß nicht einmal, durch welches Wunder, denn selbst habe
ich mich nicht vorgedrängt. Für mich ist das heute das wichtigste, denn von
dort kommt angeblich der gute Geschmack; man hat gleich ein größeres Talent,
wenn Dich einer in der englischen oder österreichischen Botschaft gehört hat;
gleich spielst du besser, wenn dich die Fürstin Vaudemont protegiert hat."
In der Gesellschaft der Aristokratie fühlte sich Chopin wohl; ihm gefiel
ihre raffinierte Kultur und ihr eleganter Lebensstil, ihr Interesse für Musik
und ihr verfeinerter Geschmack. Andere gesellschaftliche Kreise, die sich mehr
und mehr zu Wort meldeten, besaßen keine dieser Qualitäten. Dass sich seine
Freunde nach dem ihm unbekannten Karl X. zurücksehnten und dass sie über die
Regierung und Gewohnheiten Louis Philippes spotteten, störte ihn in keinster
Weise. Auch Chopin hegte für die damalige Regierung keine Sympathien,
allerdings aus ganz anderen Gründen. Die Radikalen, die mehr Freiheit und
Gerechtigkeit forderten und die nationalen Bestrebungen Polens unterstützen,
standen ihm näher. Seine etwas nebulöse Haltung gegenüber den
unterschiedlichen Gruppierungen, die sich in Frankreich gegenüberstanden,
brachte er kurz und bündig in dem obenerwähnten Brief an Dziewanowski zum
Ausdruck:" Ich leibe die Karlisten, kann die Philippisten nicht leiden,
bin selbst ein Revolitionär..." Diese Übersetzung und seine Sympathie
für die Demonstration hatte er schon früher in einem Brief an Woyciechowski
(25. Dezember 1931) geäußert:
"Du musst wissen, dass hier jetzt große Not herrscht (...) und
manchmal hörst Du ein drohendes Gespräch über den Dummkopf Philippe, der nur
noch an seinem Ministerium hängt. Die niedere Klasse ist völlig verbittert -
und jeden Augenblick wäre man bereit, dem Zustand des eigenen Elends ein Ende
zu machen, doch zum Unglück hat die Regierung zu viele Vorsichtsmaßnahmen
gegen derlei Dinge und treibt die geringste Ansammlung des Volkes auf der
Straße mit berittener Gendarmerie auseinander.
Nach der Beschreibung einer großen Kundgebungen heißt es weiter:
"Ich freute mich schon, dass vielleicht etwas geschehen würde, aber
das alles endete mit dem Absinken in gewaltigem Chor von "Alons enfants de
la Patrie" gegen 11 Uhr nachts. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, welchen
Eindruck diese drohenden Stimmen des unzufriedenen Volkes auf mich gemacht
haben! - Am nächsten Tag erwartete man die Fortsetzung dieser Emeute [Aufruhr],
wie sie das hier nennen - aber die Dummköpfe sitzen bis auf den heutigen Tag
ganz still."
Gegenüber den Aristokraten, die ihn so gastfreundlich empfingen und ihm
soviel Achtung entgegenbrachten, hat Chopin derartige Gedanken und Gefühle
sicherlich nicht geäußert. Wie er in dem Brief an Dziewanowski betonte, waren
seine Bekanntheit und seine Beliebtheit in den Salons für seine Karriere
äußerst hilfreich, und mit Sicherheit verdankte er ihnen auch die Bereitschaft
der Verleger, seine Werke zu veröffentlichen. Seine beiden ersten Auftritte in
der Öffentlichkeit und die folgenden Kritiken allein hätten dafür nicht
ausgereicht.
Quellenangaben
(Textauszug aus "Chopin, Sein Leben, sein Werk, seine Zeit", Tadeusz A. Zielinski, ISBN 3-7857-0953-6)
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