Chopin Biographie, Werke, Bilder, Portraits, Zitate
Inhaltsverzeichnis

Chopins Mazurken

Wesen und Ursprung der Mazurka

Die Mazurka ist ein slawischer Gesellschaftstanz im ¾ Takt mit Ursprung in Polen, genauer gesagt, aus der Provinz Masowien, wo auch Chopin selbst aufwuchs. Er ging aus dem Powislak und Swiatowska (Rundtanz) und vor allem Mazur, Kujawiak und Oberek hervor und breitete sich Ende des 18. Jahrhundert über die gesamte slawische Welt in Form eines Begegnungs- und Trennungstanzes aus. Nach einem festgelegten Schrittschema wechseln Paare wiederholt ihre Partner um sich danach wiederzufinden. Ein solcher Tanz kann, vorausgesetzt die Stimmung ist ausgelassen und die Tänzer gut aufeinander abgestimmt, eine Stunde und länger dauern. Franz Liszt schrieb folgendes über die Mazurka und deren gesellschaftliche Wurzeln:

"Einzig und allein in Polen kann man den stolzen und dabei doch zarten und verführerischen Charakter der Mazurka genießen. Und wenn man verstehen will, wie vollkommen Chopins Kompositionen den verschiedensten Stimmungen angepasst sind, die er in allen zauberischen Regenbogenfarben darzustellen verstand, dann muss man diesen Tanz in seinem Ursprungsland erlebt haben."

An anderer Stelle schreibt Liszt weiter:

" Der Kavalier bemächtigt sich seiner Dame wie eine Eroberung, auf die er stolz ist und gibt sich alle Mühe, ihre Reize vor allen anderen Bewunderern ins rechte Licht zu setzen, bevor er sie zu einer glühend-verzückten Umarmung herumwirbelt, durch seine Zartheit seine kühne Siegermiene hindurchglüht...Es gibt wohl kaum etwas reizvolleres, als eine Ballszene in Polen. Wenn die Mazurka einmal begonnen hat, wird die Aufmerksamkeit nicht von einer tanzenden Menge abgelenkt, die sich ohne Grazie oder Ordnung durcheinander schiebt und stößt, sondern man wird durch ein einziges Paar ebenmäßiger Schönheit gleich Zwillingssternen fasziniert, die in den freien, unermesslichen Raum hinfortschnellen. Der Kavalier akzentuiert wie unter stolzer Herausforderung seine Schritte, verlässt seine Partnerin für einen Augenblick, als betrachte er sie mit einem erneuten Entzücken, kehrt dann mit leidenschaftlichem Eifer zu ihr zurück und dreht sich geschwind um sich selbst, als sei er plötzlich von Freude überwältigt und überlasse sich seinem köstlichen Verzückungstaumel."

Ein anderer Zuschauer, Dr. E. W. Schollenberg, beschreibt das bunte Treiben einer Mazurka-Aufführung mit folgenden, weniger emotionalen als eher sachlichen Worten:

"Sie beginnt mit einer Prozession wie bei einer Polonaise, doch in schnellerem Tempo, wobei die Tänzer gleitende Bewegungen vollführen und dazu mit den Füßen stampfen. Im zweiten Abschnitt gliedert sich der Tanz zu Paaren, die eine Stunde oder länger zusammen tanzen, bis sich gegen Ende die Prozession wieder zusammenfindet. Die Solotänze sind von besonderer Bedeutung, denn hier sind die Tänzer ganz in ihrem Mètier, und hier finden die zahllosen kleinen Dramen statt, an denen sich Chopin so sehr delektierte."

Chopin und die Mazurka

Historischer Bezugsrahmen

Chopin verließ sein Heimatland 1830, um im Ausland (vorerst Wien, danach London und Paris) sein Glück als Pianist und Komponist zu suchen. Er war bereits in Polen ein gefeierter Mann und als Komponist erstaunlich reif (die meisten seiner Etüden, einige Mazurkas und Polonaisen und vor allem seine beiden Klavierkonzerte entstanden in Polen, noch vor seinem 20. Lebensjahr!). Er wusste jedoch, dass die wirklich großen Musiker nicht in Warschau, sondern in Paris, der Hochburg für Künstler aus aller Welt im 19. Jahrhundert, zu finden sind. Die wahre Größe eines Pianisten maß man damals am Erfolg in dieser Metropole. Alles andere war wertlos.
Während er in Wien weilte, brach in Polen ein Aufstand gegen die russische Fremdherrschaft aus. Dieser wurde jedoch blutig zerschlagen und den Menschen ging es danach schlechter als zuvor. Diese Tatsache war ein schlimmer Rückschlag für den sensiblen Komponisten. Aufgrund seiner schwachen körperlichen Verfassung, verursacht durch seine chronische Lungenkrankheit, war es ihm unmöglich gewesen, zusammen mit seinen Landsleuten gegen die russische Besatzung zu kämpfen. Er ließ sich nach einigen Zwischenstationen in Paris nieder und er sollte sein Heimatland Polen nie wieder sehen. Wir können uns vorstellen, wie schmerzlich sein Heimweh gewesen sein muss. Er suchte sein Seelenheil in den 51 veröffentlichten Mazurken, welche er, im Gegensatz zu anderen Genres, sein Leben lang schrieb. Sein Heimatgefühl und sein Nationalstolz drückte er in diesen Stücken aus, als persönliches Geschenk an die Heimat, sozusagen. Natürlich gab es Stilisierungen von Volkstänzen wie Sand am Meer zu Beginn des 19. Jhd., jedoch war Chopin der einzige bedeutende Komponist, der sich damit bis Mitte des Jahrhunderts beschäftigte und dessen Tänze noch heute von bleibenden Wert sind.

Chopins Stil

Chopin machte unmissverständlich klar, dass seine Mazurken keine Tanzstücke waren. Sie beinhalten neben folkloristischen Merkmalen auch lyrische Elemente oder wie Schumann3 einst sagte: irgendeinen poetischen Zug, etwas Neues in der Form oder Ausdruck, welche ein konzentriertes Zuhören verlangen. Bei reinen Tanzstücken wird ein stark ausgeprägtes, rhythmisches Grundgerüst vorausgesetzt, welches den Tänzer in Bewegung versetzt. Chopins Art, Klavier zu spielen, widerspricht jedoch einer metronomgenauen Wiedergabe (typisches Rubato-Spiel mit eher langsam gespielten Verzierungen usw.), so dass es, sofern man die Mazurkas authentisch im Geiste Chopins vorträgt, nur schlecht möglich wäre, danach zu tanzen. Viele Mazurkas entfalten sowieso erst ihren Wert nach mehrmaligen Hören. Chopin verschmilzt typische Elemente der polnischen Bauernmusik, wie er sie als Kind allzu oft gehört hatte, mit neuartigen, westeuropäischen, harmonischen Wendungen. Für einige seiner Zeitgenossen klangen seine kühnen harmonischen Lösungen eher fremd, schroff, unnatürlich, gewaltsam (wenn man selbst versuchte, sie zu spielen). Wenn Chopin jedoch seine Stücke vortrug, dann klangen sie plötzlich unglaublich lebendig, transparent und originell. Es ist für jeden (angehenden) Pianisten eine große Herausforderung, Werke Chopins ,,richtig" zu spielen. Die meisten seiner Werke, ganz besonders die Mazurken, erwachen erst durch den zarten und ,,singenden" Anschlag, so wie ihn Chopin meisterhaft beherrschte, zum Leben.
Von den Noten her sind die meisten seiner Mazurkas nicht allzu schwer, doch verlangt die richtige Interpretation an hohes Maß an spielerischer Fertigkeit verbunden mit naiver Frische und reifer pianistischer Meisterschaft.4 Seine Mazurken (wie auch seine anderen Werke) klingen auch weder typisch polnisch noch typisch französisch (was auch dazu geführt haben könnte, dass Franzosen, Polen sogar Deutsche Chopin für sich beanspruchten). Chopin verkörperte einen bis dahin ungekannten Klavierstil, der sich relativ unbeeinflusst von anderen musikalischen Strömungen entwickelte. Er ist deshalb im Kontext der Musikgeschichte relativ einzigartig.

Werkbetrachtung

Die Ausgangsform für die Mazurkas bildet bei Chopin der klassische, periodische Aufbau. Er modifiziert, erweitert und formt um, doch bleibt diese Struktur immer erkennbar. Auch bildet das Prinzip der Reprise den Rahmen seiner Kompositionen. Es erscheint ein erster Teil mit einem oder mehreren Themen, danach folgt ein Zwischenteil und am Ende wird der erste Teil wiederholt, meist in abgewandelter Form. Es ist also eine typische ABA Form erkennbar, was die volkstümliche Grundlage seiner Kompositionen bestätigt.
Weiterhin fällt auf, dass Chopin den zweiten oder dritten Schlag bevorzugt (entspricht genau den Fußstapfen im Tanz). Diese ungewöhnliche Betonung für einen Dreiertakt zeigt auch die stilistische Abgrenzung zu seinen Walzern, die bekanntlich auch im ¾ Takt stehen. Hier wird immer der erste Schlag betont, die zwei folgenden Schläge sind unbetont zu spielen. Chopin spitze bei seinen Darbietungen die taktauflösende Wirkung seiner Schwerpunktverschiebungen derart zu, dass bei manchem Hörer der zugrunde liegende Dreiertakt verloren ging.5 Nicht auszudenken, wenn man danach tanzen müsste. Die eingefügten Akzente verleihen der Musik eine urwüchsige Kraft und große, dynamische Ausstrahlung. Genau das richtige für die Pariser Salons in dieser Zeit.

Schlussbetrachtung

Chopin hat uns mit seinen Mazurken ein beeindruckendes Vermächtnis hinterlassen. Dieses Genre erzählt uns wie kein anderes das Leben Chopins von seinen Jugendjahren in Polen bis zu seinem Tod in Frankreich. Man kann beim näheren Betrachten jeder einzelnen Mazurka den momentanen Gemützustand Chopins und den derzeitigen künstlerischen Anspruch erkennen. Meist wechseln sich die Zyklen, was den Gesamteindruck anbelangt, ab. Es ist ein roter Faden erkennbar, aber nur innerhalb eines Zyklus. Einmal ist das Hauptgewicht auf folkloristische Elemente, auf klar herausgestellten Tanzrhythmus mit volkstümlicher Melodie gelegt oder er schenkt subtileren lyrischen, poetischen Elementen größere Beachtung. Vom deftigen Tanzstück mit einfacher dreiteiliger Anlage und klarer, transparenter Themenaufstellung bis hin zur komplizierten, kontrapunktischen, komplexen Komposition ist alles vorhanden.
Da die Mazurka eine Mischform anderer Tanzformen darstellt, kann man in seinen Mazurken oft die eine oder andere verstärkte Hinwendung zu einem Tanz bemerken: z.B. in Opus 68 no.3 F-Dur, op.30 no.3 in Des-Dur oder op.7 no.1 in B-Dur kann man die typische Form des Mazur erkennen, welcher sich durch starke Rhythmisierung und scharfe, trotzige Artikulation auszeichnet. Den Kuwajak, welcher ein langsamer Tanz mit fließender, nostalgischer, melancholischer Melodie und schaukelndem, zögerndem Rhythmus ist, kann man besonders gut in den Mazurkas op.17 no.4 oder NE 65, beide in a-Moll, erkennen. In den Stücken op.32 no.2 in D-Dur oder im Trio der F-Dur Mazurka NE 25 lässt sich der Einfluss des Oberek, einem beschwingten, lebhaften Tanz, der oft den Eindruck eines Zitats aus der Volksmusik hinterlässt, nachweisen. Im Laufe der Zeit bildet Chopin seinen eigenen Stil, wobei er die spezifischen Eigenschaften der Tänze frei nutzt. Er entzieht deren Muster den ursprünglichen Kontext, indem er extrem sublimiert und synthetisiert. Seinen eigenen, voll ausgeprägten Stil erreicht Chopin in den Mazurkas ab Opus 41.13
Eine kurze, treffende, wunderbar formulierte Beschreibung dessen, was Chopins Mazurken ausmacht, soll meine Arbeit beenden:
Die Analyse der Mazurken Chopins offenbart, insbesondere in volkstümlicher Hinsicht, eine große Menge aufschlussreicher Momente. Darüber hinaus ist der Zauber dieser Musik bei aller Schlichtheit der Form derart, dass der Hörer jedes Mal nachdenklich wird und erstaunt ist, soviel Schönheit bisher nicht wahrgenommen zu haben. Es geschieht auch umgekehrt: dass der Hörer der Mazurken sie nur gefühlsmäßig erlebt und in ihnen wie der einfache Mensch nur das Schöne, ohne bewusste Analyse, empfindet. Wollte man die Tiefe des Erlebten, das uns an den Mazurken Chopins ergreift, zu beschreiben suchen, so scheint uns der gesamte Reichtum unserer Empfindungen dafür nicht auszureichen.

Übersicht zu den Werkanalysen der Mazurken

Quellenangaben

  1. http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/mus/18366.html

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